Wie leite ich ein Rollenspiel für Einsteiger?

Teil 2: Ein Spiel für Einsteiger leiten

Kathrin Eggerling

Letztes Mal ging es noch um die Vorbereitung, doch heute wird es ernst: Wie leitest du deine Einsteigerrunde denn nun? Wie erklärst du, was Rollenspiel ist? Und was kannst du tun, damit deine Spieler aktiv handeln? Das und mehr klären wir im heutigen Beitrag.


Zeig die Schokoladenseite: Was ist ein Rollenspiel?

Du hast System und Setting ausgewählt, Charaktere vorbereitet (oder eine Hilfestellung, selbst welche zu bauen) und sitzt mit deinen motivierten, vielleicht auch etwas verunsicherten Rollenspielanfängern am Tisch oder im Discord. Jetzt wird gespielt!

Anfängerrunden starte ich meist damit, einen Eindruck zu geben, was Rollenspiel eigentlich ist. Meist vergleiche ich es mit einem Film: „Ihr seid die Hauptfiguren, die Helden der Geschichte. Ihr könnt alles tun, was ihr möchtet. Es ist alles möglich. Wenn vor euch ein wild dreinblickender Ork auftaucht, könnt ihr selbst entscheiden, wie ihr damit umgeht. Wollt ihr mit ihm sprechen? Eure Waffen ziehen und angreifen? Erst mal abwarten, ob er sich in der Tür geirrt hat? Das liegt ganz bei euch. Und ja, ihr seid völlig frei. Ihr könnt ihm auch Süßigkeiten anbieten, wenn ihr welche dabeihabt – ob das allerdings klug ist und gegen seine offensichtliche Wut hilft, werden wir dann sehen.

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Meistens folgen dann noch ein paar erstaunte Rückfragen zur frischgebackenen Spielerfreiheit, bevor ich vom Würfeln erzähle: „Ja, ihr könnt selbst entscheiden, was ihr
vorhabt. Ob euer Vorhaben gelingt, entscheiden die Würfel und eure Werte. Jeder von euch sieht auf seinem Charakterblatt die Fähigkeiten seines Charakters. Wenn ihr den Ork zum Beispiel mit dem Schwert angreifen wollt, würfelt ihr. Dadurch könnt ihr bestimmen, ob es eurem Charakter gelingt, den Hieb wirkungsvoll zu platzieren. Schafft ihr den Wurf, könnt ihr den Gegner verletzen. Schafft ihr ihn nicht, ging der Schlag ins Leere. Je besser euer Charakter im Kämpfen ist, desto besser stehen eure Chancen.“

An dieser Stelle gehe ich nur sehr grob auf die Regeln ein, denn die kann man prima während des Spiels erklären. Wichtiger ist für mich, dass alle verstehen, was der Kern des Rollenspiels ist. Es gibt eine Vielzahl von Definitionen, Meinungen und Gewichtungen dazu, was Rollenspiel eigentlich ist und wo der Reiz daran liegt.
Aber letztendlich willst du deine Runde von diesem wunderbaren Hobby überzeugen, weil irgendein Aspekt daran dir Freude bereitet. Also hebe heraus, was dich selbst an Pen&Paper fasziniert – zeige deinen Spielern die sprichwörtliche Schokoladenseite!

Für mich persönlich bedeutet Rollenspiel vor allem zwei Dinge: Freiheit und aufregende Geschichten. Freiheit, weil ich mir für eine spannende Geschichte sonst auch einen Film oder ein Buch für den Abend aussuchen könnte – aber viel lieber gestalte ich als Spieler oder Spielleiter die Geschichte selbst. Und aufregende Geschichten, weil belangloses Lagerfeuerplaudern als Selbstzweck mich nicht mitreißt (das mache ich lieber mit einer guten Freundin am Telefon oder bei einem Picknick). Für mich geht es darum, Entscheidungen zu treffen. Sich abzusprechen. Miteinander zu interagieren, sowohl mit der Spielleitung als auch mit den Mitspielern. Und vor allem: gemeinsam Spaß zu haben! Die Regeln sind für mich nur eine Krücke, um all das zu ermöglichen. Das versuche ich meinen Anfängern schon zu Beginn zu vermitteln. Dadurch bekommen sie auch eine vage Vorstellung davon, was von ihnen erwartet wird. Denn so besteht zumindest eine geringe Chance, dass man sie nicht eiskalt erwischt, wenn man zum ersten Mal fragt:

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„Was wollt ihr tun?“: Holprige erste Schritte

Viele Rollenspieleinsteiger kennen schon Brett- oder Computerspiele. Dadurch sind sie es gewohnt, auf gewisse Weise geleitet zu werden. Die absolute Freiheit, die Pen&Paper bietet, ist für sie Neuland. Aus diesem Grund habe ich selbst schon in fragende, hartnäckig schweigende Gesichter geblickt, als ich zum ersten Mal die alles entscheidende Frage stellte: „Was wollt ihr tun?“

Mein heißer Tipp gegen das Schweigen: Gebt euren Spielern Optionen. Lasst sie einen Einblick in das gewinnen, was möglich ist. Überrollt sie nicht sofort, sondern erweitert den Horizont schrittweise, zum Beispiel so:

Spielleitung: „Du merkst einen Ruck an deinem Gürtel und stellst fest, dass deine Geldbörse heruntergerissen wurde. Du siehst den Dieb mit wehendem Mantel dort vorne um die nächste Ecke verschwinden. Du könntest ihm sofort hinterherrennen. Oder rufen, um andere auf ihn aufmerksam zu machen. Du siehst ganz in der Nähe auch einen Stadtgardisten, doch der scheint beschäftigt zu sein … Was tust du?“

Spieler: „Na gut, dann renne ich hinterher. Kann ich dabei rufen oder geht nur das eine oder das andere?“

Spielleitung: „Natürlich kannst du gleichzeitig rufen. Die Leute werden dadurch schon aufmerksam und behindern den Dieb auf seiner Flucht. Nach einer kurzen, aber wilden Hetzjagd hast du ihn endlich eingeholt und kannst ihn festhalten. Was tust du mit ihm? Willst du ihm die Geldbörse entreißen? Dein Messer zücken und ihn bedrohen? Erst mal nur mit ihm sprechen? Oder hast du etwas ganz anderes vor?“

Es gibt Spieler, die ihre neugewonnene Freiheit schnell begreifen und Gefallen daran finden, sich aktiv ins Geschehen einzubringen. Genauso gibt es welche, die fürs Erste lieber bei deinen Vorschlägen bleiben. Beides ist völlig in Ordnung – denke nur daran, immer wieder anzubieten, dass eigene Ideen erwünscht und willkommen sind (und belohne Kreativität, aber das ist ja nichts, was man nur in Einsteigerrunden tun sollte).

„Ihr habt keine Wahl“: Die Spieler handeln lassen

Manchmal gibt es keine andere Wahl, als die Wahl zu haben. Klingt paradox, macht das Spiel aber oft spannender. Deine Spieler haben zum Beispiel den Meisterdieb gefangen und stellen nun (kleiner Plottwist am Ende) fest, dass er eigentlich ein netter Kerl ist, der sich für seine Familie knietief in Schulden gestürzt hat. Ihr Auftraggeber hingegen ist in Wahrheit offenbar doch kein so hilfsbereiter Typ, sondern will den frisch gefangenen Dieb rachsüchtig aufknüpfen lassen.

Deine Spieler müssen eine Entscheidung treffen. Liefern sie den Dieb aus oder lassen sie ihn laufen? Und nein, kein NSC kann oder soll ihnen diese Entscheidung abnehmen. Selbst wenn sie den Dieb nur warnen und dann auf eigene Gefahr aus der Sackgasse rennen lassen oder ihn als Mittelding aus Genugtuung und Schutz der Stadtwache übergeben, ist auch das eine Entscheidung. Mach deinen Spielern klar, dass sie es sind, die den Verlauf und das Ende der Geschichte bestimmen.
So mancher Anfänger ist noch in den bürokratischen Wirren des Alltags gefangen, statt in der Rolle, die er sich mit dem Charakter ausgesucht hat („Wie, da wird jemand mit einer Knarre bedroht? Das sollten wir den Behörden melden und uns schnell aus dem Staub machen!“). Hilf solchen Einsteigern dabei, sich selbst als aktive Protagonisten zu sehen („Bist du sicher, dass der kampferfahrene Straßensamurai brav die Polizei anrufen will und dann seiner Wege zieht?“). Oder, wenn alles Zureden nichts nützt: Lass ihnen keine Wahl als zu handeln („Mit deinem geschulten Auge erkennst du, dass der Finger des Kidnappers nervös am Abzug zuckt – bis die Polizei hier ist, wird es längst zu spät sein“).

                  Wie mach ich das noch mal?“: Regeln sinnvoll erklären

                  Regeln können für Anfänger eine leidige Angelegenheit sein. Ich persönlich erkläre so wenig wie möglich im Vorhinein, sondern lasse die Spieler alle Nötige während des Spiels entdecken. Wenn du auch erfahrene Spieler am Tisch hast, können sie dir zusätzlich unter die Arme greifen. Zur Einführung solltest du deinen Einsteigern aber zumindest einen kurzen Überblick über System und Welt geben:

                  • Geht kurz gemeinsam über den Charakterbogen. Schaut nicht auf jedes einzelne Talent, sondern klärt das große Ganze: Lebenspunkte, Eigenschaften, Inventar …
                    wirklich nur ganz grob ;-) Erwähne dabei gerne, welche ihrer Werte besonders hoch sind, dann haben die Spieler bereits eine Einschätzung, was ihre Charaktere gut
                    können.

                  • Reiß kurz an, mit welchen Würfeln gewürfelt wird und wann eine Probe normalerweise gelungen ist – einfach, damit deine Spieler es schon mal gehört
                    haben.

                  • Erkläre die lebensnotwendigen Funktionen zusätzlicher Tools, falls ihr online spielt.

                  • Gib einen groben Rahmen für Welt und Setting, damit deine Spieler sich vorstellen können, was sie erwartet.


                  Das meiste andere ergibt sich wunderbar im Spiel. Bis ihr zum ersten Kampf kommt, haben sowieso alle vergessen, wie das mit den Regeln war. Daher mein Tipp: Steigere
                  Würfelproben langsam. Gestalte das Spiel so, dass zu Beginn jeder ein- oder zweimal in einem „sicheren“ Umfeld würfeln kann, bevor es um Leben und Tod geht. Bei einer Runde von vier Spielern hast du dann noch vor Eintritt in den Dungeon vier- bis achtmal die grundsätzlichen Würfelregeln erklärt – zumindest einige eifrige Spieler werden sie sich danach schon gemerkt haben.

                  Das Wichtigste im Blick: Geduld und Spaß haben

                  Einsteiger ins Rollenspiel einzuführen ist eine dankenswerte Aufgabe. Nicht selten gewinnst du so neue Mitspieler und glühende Verfechter für unser turbogeniales Hobby. Klar verlangt es etwas Geduld und Feingefühl, beispielsweise die Würfelregeln nach den initialen vier- bis achtmal noch fünfmal zu erklären. Gerade dann, wenn einer oder mehrere deiner Mitspieler nach diesem Abenteuer leuchtende Augen bekommen und richtig Bock auf Pen&Paper haben, kannst du dir aber stolz auf die Schulter klopfen und sagen: „Meine Arbeit ist getan.“ Sicher ist es mit leichter Wehmut verbunden, wenn der Funke mal doch nicht so ganz überspringt. Aber solange ihr gemeinsam einen spaßigen, aufregenden und spannenden Abend erlebt, hat sich die Sache schon gelohnt.

                  Also, wann leitest du deine nächste Anfängerrunde? Hast du Lust, dein Hobby mit neuen Menschen zu bereichern – und ihr Leben mit Rollenspiel? Dann leg los und biete deine Einsteigerrunde an den Offenen RollenSpielTagen an! Alle Infos zum monatlichen Event findest du auf unserer Veranstaltungsseite.