Warum Rollenspiel Kunst ist

und warum wir das auch so vertreten sollten

Christian Caroli

Rollenspiel ist Kunst! Aber wenn man das laut ausspricht, hört man oft fast schon reflexartig "Ja bäh, nie und nimmer!". Aber warum eigentlich?

  • Es wird etwas künstlerisch Wertvolles geschaffen: 

    • Es gibt nicht wenige Rollenspiel-Spielleiter, die ihre Abenteuer selbst schreiben. Hier ist Kreativität gefragt, es muss ein Handlungsrahmen gestaltet werden, es müssen interessante Charaktere geschaffen und mit Leben gefüllt werden, oft müssen auch Lagepläne gestaltet werden. Dann sollte das Abenteuer auch bitteschön nicht sterbenslangweilig sein, sondern einen Spannungsbogen aufweisen, damit die Mitspieler nicht einschlafen oder mit Ihrem Handy spielen. Und wenn der Spielleiter dann noch Zeit hat, beginnt er manchmal auch noch, seine Figuren zeichnerisch umzusetzen. 
      Also worin unterscheidet sich der Abenteuer-gestaltende Spielleiter von einem Buchautor? 

    • Selbst wenn der Spielleiter ein Abenteuer von einem fremden Autor verwendet, so geht das nicht ohne eine gehörige Portion Improvisationstalent. In einem laufenden Abenteuer müssen von ihm alle Charaktere gespielt werden, die im Abenteuer wichtig sind - dabei verstellt er seine Stimme, verwendet unterschiedliche Sprachstile, Akzente, Mundarten, gibt sich klug, dumm, genervt, gelangweilt, beschäftigt, angeberisch, bescheiden - im steten Wechsel und immer bedacht, nur durch seine Stimme und seine Körpersprache eine zum Abenteuer passende Stimmung aufzubauen.
      Worin bestehlt also der Unterschied sich also der Spielleiter von einem Schauspieler?

    • Neben dem Spielleiter werden auch die Spieler mit ins Geschehen eingebunden. Auch sie müssen mit dem Spielleiter und den Mitspielern interagieren. 
      Kann man das nicht mit Improvisationstheater vergleichen?

  • Es gibt ein Publikum:
    • Jeder Spieler einer Rollenspielrunde ist in erster Linie Zuhörer - wer eröffnet das Spiel, wer beendet es? Es ist der Spielleiter, dem alle zuhören, der alle Bahnen lenkt und durch große Improvisationskunst es sogar schafft, sein Publikum - die Spieler - mit einzubinden. 
      Ist das nicht das selbe, was das Improvisationstheater tut?
    • Abenteuer werden oft publiziert und damit einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Es ist dabei egal, ob ein Verlag das Abenteuer als Buch herausgibt und damit auch noch Geld verdient oder ob das Abenteuer "nur" im Internet kostenfrei veröffentlicht wird - es gibt auf jeden Fall Menschen, die sich das Abenteuer ansehen, durchlesen und nachspielen. 
      Hier wird also der Spielleiter und die Spieler zum Leser eines - speziellen - Buches. 

Was sagen denn die Gerichte dazu? Das Bundesverfassungsgericht meint: "Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.“ Tja, eine "freie schöpferische Gestaltung" ist wohl schon notwendig, wenn man ein Pen & Paper Rollenspiel gestalten oder geschweige denn spielen (im Sinne von aufführen) möchte. Und natürlich werden in Abenteuern die Erlebnisse des Spielleiters, seine Eindrücke und Erfahrungen verarbeitet - "in einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht" - nämlich in Schrift und Wort, unmittelbar ans Ohr des Spielers und all der Zaungäste, die nur mal bei einem Rollenspiel zuhören möchten.

Und der Bundesfinanzhof geht dann von einer künstlerischen Tätigkeit aus, wenn die Arbeiten des Steuerpflichtigen nach ihrem Gesamtbild eigenschöpferisch sind und über eine hinreichende Beherrschung der Technik hinaus eine bestimmte künstlerische Gestaltungshöhe erreichen. Na ja, wir "steuerpflichtigen" Rollenspieler verkaufen unsere Abenteuer ja nicht wirklich, sodass jetzt nicht direkt eine Steuer anfällt, aber wenn jemand behauptet, das Schreiben eines Abenteuers setzt nicht eine gewisse "Beherrschung der Technik" voraus und erreicht keine "bestimmte künstlerische Gestaltungshöhe", der hat wohl noch nie ein Abenteuer geschrieben. 

Kommen wir zu der Frage, warum wir Rollenspieler uns nicht selbst als Künstler sehen? Ist es denn so einfach, ein Rollenspiel zu schreiben, dass es jeder könnte? Ist jeder beliebige Mensch in der Lage, ein guter Spielleiter zu sein? Sind wir nicht kreativ, wenn wir schreiben oder müssen wir nicht heftigst improvisieren, wenn einer der Spieler unbedingt einen Handlungsstrang beschreiten möchte, den wir noch gar nicht in unserem Abenteuer berücksichtigt haben? Oder ist es uns gestandenen Berufstätigen peinlich, ein Künstler zu sein? 

Kommt Leute, lasst uns stolz auf das, was wir leisten! Ja, wir sind kreativ, wir gestalten, improvisieren, schreiben, zeichnen, malen und bloß weil unsere Werke kein Millionenpublikum haben oder für viel Geld in Schickimicki-Galerien hängen, muss das nicht heißen, dass wir keine Künstler sind! Stehen wir zu dem, was wir machen und was wir sind. 

Sprecht es mir nach: Ja, ich bin ein Künstler! 

Christian Caroli am 04.08.2019