Verlieren ist ein Geschenk

Tipps für Spieler & Spielleiter

Kathrin Eggerling

Beim Rollenspiel gibt es ja bekanntlich keine Gewinner und Verlierer. So mancher Spieler kennt aber trotzdem das nagende Gefühl, wenn die Ereignisse der letzten Session mehr als nur ein bisschen schiefgingen. Und der eine oder andere Spielleiter hat sicher schon hinter dem Sichtschutz gegrollt, weil Geschehnisse einen völlig anderen Verlauf nahmen als angenommen. Warum nenne ich dieses „Verlieren“ dann ein Geschenk? Ganz einfach:

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Wenn du verlierst, gewinnt die Story

Schlicht und ergreifend: Fehlschläge machen Geschichten spannend. Und ja, ich spreche hier von Missgeschicken, falschen Entscheidungen, dummen Fehltritten, Pech – und den Momenten, wo die Gegner oder Rivalen schlicht besser sind, als man selbst. Einfach von allem, bei dem man im echten Leben sagen würde: Scheiße gelaufen.

Das ist der Moment, um dir bewusst zu machen, dass du das Spiel auf zwei sehr unterschiedlichen Ebenen wahrnimmst. Schließlich bist es nicht du selbst, der zum Beispiel durch Würfelpech mit phänomenal schlechtem Kampfstil oder katastrophalen Tischmanieren auffällt – es ist dein Charakter (oder Nichtspielercharakter).

Deswegen grolle und grummle bitte nicht, sondern halte kurz inne. Überlege dir, warum du überhaupt spielst. Willst du wirklich immer nur gewinnen? Soll jeder Schwertstreich perfekt sitzen, jeder Feind beim ersten Kreuzen der Klingen klein beigeben? Warum würfelst du denn dann überhaupt (und spielst nicht lieber ein Erzählspiel – oder entscheidest als Spielleiter einfach, was passiert)? Sei klug und denke an die Chance, die sich dir bietet. Freu dich, denn wenn du verlierst, gewinnt die Story!

Wenn die Story gewinnt, gewinnt ihr alle

Niemanden interessiert die ereignislose Wanderung von einem hübschen Tal auf einen fernen, etwas steinigen Berg. Die macht den wandernden Charakteren selbst vielleicht Spaß, ist aber gähnend langweilig für das Publikum, sprich: dich und deine Mitspieler. Wenn aber zwischendrin die eigenen Reisegefährten von Orks entführt werden, ein fieser Krieg ausbricht und der Lieblingsmentor in einen bodenlosen Abgrund fällt (nicht zwingend in dieser Reihenfolge), dann haben wir plötzlich großes Kino! Das, lieber Spieler, sind die Momente, an die du denkst, wenn’s mal nicht rund läuft. Du machst dir bewusst, dass vor dem glanzvollen Triumph ein bisschen Anlauf vonnöten ist. Notfalls von ganz, ganz weit hinten. Dafür springst du dann umso weiter, schneller, höher.

Und du, lieber Spielleiter? Für dich gilt genau das gleiche! Wenn immer alles finster aussieht, gibt es keine Überraschungen. Nichts macht Spaß, es ist einfach alles doof (ja, für Charaktere UND Spieler). Der böse Zauberer ist immer einen Schritt voraus, die Orkschergen überall, das zitternde Volk in einer dunklen Sackgasse zusammengetrieben und einen Verräter gibt es auch noch? Na Mahlzeit, das sind deprimierende Aussichten!

Wenn jetzt aber eine kleine Gruppe tapferer Helden mit ihren Taten Erfolg hat, die Flut von Feinden zurückhält, bis Verstärkung anrückt, und am Ende glorreich siegt, gibt es Gänsehautmomente. Die willst du, die brauchst du und die erzeugst du. Indem du verlierst. Das ist der Job, den du dir ausgesucht hast, damit alle Spaß haben. Also sei kein Griesgram, sondern feiere die Erfolge deiner Spieler – auch wenn sie dir in ganz seltenen Momenten vielleicht ein klitzekleines bisschen unverdient erscheinen (doofe Würfel!). Denn ultimativ willst du deine Gruppe doch glänzen sehen, nicht wahr? Na also.

Fehlerkreislauf: Jeder ist mal dran

Würfeln ist ein essenzieller Bestandteil der meisten bekannten Rollenspielsysteme. Das ist auch gut so, denn dadurch sind sowohl überraschende Siege als auch bittere Niederlagen vorprogrammiert. Das macht die Dinge interessant. Nimm die Würfel nicht persönlich, denn so ist das eben im Leben: Mal ist man der Hund und mal ist man der Baum. Ja, auch als Krieger der 18. Stufe.
Doch mit dem Fehlerkreislauf meine ich etwas anderes.
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Stell dir mal eine Runde vor, in der Spielleiter und Spieler gegeneinander spielen. Jeder will gewinnen, besser sein, die andere Partei austricksen. Man schenkt sich nichts – schließlich geht es hier um die eigene Fiktion und die will man doch bitteschön noch selbst kontrollieren! Was resultiert daraus? Jedes Mal, wenn die Spieler einen Sieg erringen, ärgert sich die Spielleitung. Und für jeden Moment, den die Spielleitung als Gewinn verbucht, schaut sie in fassungslose, schmollende Spielergesichter. Mit anderen Worten: Nie haben alle gleichzeitig Spaß. Damit ist jede Niederlage im Spiel – egal für welche Seite – auch eine Niederlage für den ganzen Tisch. Hilfe, was wäre das für ein schräges Hobby?

Aus Sicht der Helden wechseln sich Fehlschläge und Erfolge relativ regelmäßig ab, zumindest in den spannenden Geschichten. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass ein ähnliches Maß Höhen und Tiefen auf den Spielleiter wartet, der all die fiesen Monster und wahnsinnigen Wissenschaftler kontrolliert. Wir sitzen also alle im selben Boot (nur streng genommen nicht zur gleichen Zeit).

Also machen wir uns doch locker. Der nächste gelungene Coup und gewonnene Kampf folgen bestimmt! In der Zwischenzeit freuen wir uns einfach mit unserer „besseren Spielhälfte“, dass sie gerade einen coolen Moment erlebt. Das Pech (wahlweise ein fatal undurchdachter Plan oder auch ein fahrlässig durchgeführtes Manöver, har har) wird schon früh genug wieder zuschlagen. Lehnen wir uns also für den Moment zurück und genießen die Show. Wir alle haben uns den Spaß verdient.

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